NACH OBEN

1. Problemaufriss

Seit den 80er Jahren wird der öffentliche Sektor in vielen OECD-Staaten umstrukturiert. Konkrete Reformanstöße gehen dabei in den verschiedenen Ländern teilweise von neokonservativen Kreisen (GB, USA), teilweise aber auch von linken Labour-Kräften aus (Neuseeland, Australien). Die Modernisierungsbemühungen orientieren sich aber alle am Konzept des New-Public-Management (NPM). In der Kritik stehen Struktur und Größe des Staatssektors. Der spezifische Charme des NPM entsteht durch die Verbindung der alten Frage nach den Aufgaben des Staates mit neuartigen Anforderungen und Problemlagen für staatliches Handeln in einem stark veränderten internationalen Kontext. Beabsichtigt ist eine Neubewertung der Staatsaufgaben und eine Neuorganisation der Aufgabenerledigung durch staatliche und kommunale Institutionen.

  • Zum einen geht es um die Art und Weise der administrativ-organisatorischen Umsetzungen von Staatsaufgaben und hier insbesondere um die Einführung einer marktgesteuerten, kundenorientierten öffentlichen Dienstleistungsproduktion, die unter dem Stichwort Binnenmodernisierung diskutiert wird. Die dominierende Frage ist dabei: Wie kann die Effizienz im öffentliche Sektor gesteigert werden?
  • Zum anderen steht die Reichweite staatlicher Politik, eine Neubestimmung öffentlicher Aufgaben und dabei insbesondere die Bestimmung der optimalen Leistungstiefe im Blickpunkt des Interesses. Hier wird danach gefragt, ob und in welchen Formen staatliches Handeln stattfinden soll.

Seit Anfang der 90er Jahre verstärken sich auch in Deutschland die Modernisierungsbemühungen zunächst vor allem im Bereich der Binnenmodernisierung (Neue Steuerungsmodelle), aber später auch bezüglich der Reichweite staatlicher Politik (schlanker Staat, aktivierender Staat, "good governance"). Gegen Ende der 90er Jahre nimmt die Ökonomisierung der Verwaltung im Sinne eines Bedeutungsgewinns wirtschaftlicher Rationalitäten in ursprünglich „außerwirtschaftlichen“ Bereichen und der zunehmenden Ausrichtung des Handelns an ökonomischen Kategorien, Werten und Prinzipien weiter zu. Dieser Bedeutungsgewinn äußert sich neben der stärkeren „Managerialisierung der Verwaltung“ und in der Vermarktlichung von öffentlichen Dienstleistungen durch Privatisierung, dem verstärkten Aufkommen von Public Private Partnerships (PPP) und dem Versuch Wettbewerbsstrukturen zu schaffen.

2. Forschungsfelder

Die empirische Untersuchung von Prozessen der Verwaltungsmodernisierung ist seit Anfang der 90er Jahre ein Forschungsschwerpunkt von Prof. Dr. Jörg Bogumil. Er hat seit 1992 an zwei wissenschaftlichen Begleitforschungsprojekten mitgearbeitet, die sich zum einen mit der Implementierung eines Bürgeramtskonzeptes in Hagen (1992-1994) und zum anderen mit der Einführung eines Neuen Steuerungsmodells in die Kommunalverwaltungen (1994-1996) beschäftigten (vgl. Kißler/Bogumil/Wiechmann 1994; Kißler/Bogumil/Greifenstein/Wiechmann 1997 unter Publikationen). Seit 1998 war er wissenschaftlicher Berater im Netzwerk "Kommunen der Zukunft", eine Gemeinschaftsinitiative der Hans-Böckler-Stiftung, der Bertelsmann-Stiftung und der KGSt, verantwortlich insbesondere für den Netzwerkknoten "Bürgerkommune" (vgl. Bogumil/Vogel 1999). Im Jahr 2000 wurde gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Leo Kißler eine Evaluation des Modernisierungsprozesses in der Stadtverwaltung Detmold erstellt. Ein Teil dieser Forschungsergebnisse floss in die Lehre an der FernUniversität Hagen ein durch die mit Prof. Dr. Frieder Naschold gemeinsam erfolgte Erstellung des Fernstudienkurses 3915 (Modernisierung des Staates, 1997, völlig überarbeitete Neuauflage 2000, als Buch: Naschold/Bogumil 2000), der einen Gesamtüberblick über die internationale und nationale Modernisierungsdiskussion liefert.

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Modernisierungsprozessen bewirkten eine Erweiterung des Forschungsfeldes in zwei Richtungen.

  • Zum einen wurden die Bemühungen in Richtung organisationstheoretischer Fragestellungen intensiviert, insbesondere durch den Einbezug mikropolitischer Ansätze. Ein Produkt der Forschung ist der gemeinsam mit Prof. Dr. Josef Schmid erstellte Fernstudienkurs 3904 (Politik in Organisationen, 2000, vgl. als Buch Bogumil/Schmid 2001).
  • Zum anderen geht der inhaltliche Zugriff in der im August 2000 abgeschlossenen und mit dem Carl-Goerdeler Preis ausgezeichneten Habilitationsschrift von Jörg Bogumil über die Prozesse der Verwaltungsmodernisierung hinaus (vgl. Bogumil 2001). Untersucht wird, welche Auswirkungen die verschiedenen Modernisierungsimpulse in den 90er Jahren (Public Management, Reform der Kommunalverfassungen, Ausbau kooperativer Demokratieformen) auf die politische Steuerungsfähigkeit und die demokratische Legitimation kommunalen Handelns haben und welche Veränderungen (Machtverschiebungen) sich für das kommunale Entscheidungssystem ergeben.

An diese Arbeit schließt sich auch der theoretische Bezug des in den Jahren 2001 bis 2003 durchgeführten Drittmittelprojektes "Bürgerkommune" an. Hier geht um die Frage, wie sich der Ausbau unterschiedlichster, vor allem kooperativer, Formen von Bürgerbeteiligung in die Strukturen repräsentativer und direkter Demokratie auf kommunaler Ebene einpasst (vgl. Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003). Darüber hinaus werden die in jüngster Zeit verstärkt auftretenden Privatisierungs- und Liberalisierungsbemühungen, z.B. in den Bereichen kommunaler Daseinsvorsorge (Strom, Wasser, Abfall), und ihre Wirkungen auf die politische Steuerungsfähigkeit und demokratische Legitimation von Verwaltungen verstärkt betrachtet (Bogumil/Holtkamp 2002c; 2003f; Bogumil/Holtkamp Wollmann 2003). Als erstes umfassendes Resümee wird im April 2004 eine umfassende Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierungsmaßnahmen, 10 Jahre nach dem Start des Neuen Steuerungsmodells in Deutschland, gestartet (zu den Ergebnissen vgl. Bogumil/Grohs/Kuhlmann/Ohm 2007 sowie zu den Konsequenzen Bogumil u.a. 2007b).

Ebenfalls seit dem Jahr 2004 stehen die zunehmenden Bemühungen um Verwaltungsstrukturreformen in den Bundesländern im Fokus des Forschungsinteresses. Hierzu wird zunächst ein Gutachten zu den Reformvorschlägen in NRW (vor allem im Bereich der Mittelinstanzen) (Bogumil/Reichard/Siebart 2004), im Jahr 2005 ein Gutachten zur Verwaltungsstrukturreform in Baden-Württemberg (Vgl. Bogumil/Ebinger 2005) sowie im Jahr 2006 ein Gutachten zur Verwaltungsstrukturreform in Niedersachsen (Vgl. Bogumil/Kottmann 2006)vorgelegt. Ebenfalls im Jahr 2005 beginnt ein neues Drittmittelprojekt zur Modernisierung der Umweltverwaltung, welches sich mit den Auswirkungen veränderter Verwaltungsstrukturen und Verfahren auf die Qualität des Umweltschutzes beschäftigt (Bauer/Bogumil/Knill/Ebinger/Krapf/Reisig 2007).

2005 erscheint in Zusammenarbeit mit Werner Jann das erste umfassende politikwissenschaftliche Lehrbuch zum Bereich der Verwaltung und Verwaltungswissenschaft, welches viele Erkenntnisse der empirischen Projekte aufnimmt (2 umfassend überarbeitete Auflage vgl. Bogumil/Jann 2009). Eine Ausweitung der Forschungstätigkeit auf den internationalen Bereich erfolgt im DFG Projekt „Wandel europäischer Lokalsysteme“ (2007-2009) und eine Ausweitung des Forschungsbezugs im Bereich öffentlicher Verwaltungen durch im Jahr 2008 beginnende Forschungen zum Hochschulbereich (Bogumil/Heinze/Grohs/Gerber 2008, Bogumil/Heinze 2009), welche in einem umfassendes Forschungsprojekt (2009-2012) weiter vertieft werden sollen.

Zusammenfassend bündeln sich die Forschungsbemühungen im Bereich von Modernisierungsprozessen in öffentlichen Verwaltungen, vor allem Kommunal- und Landesverwaltungen, im Dritten Sektor und im Bereich von Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung. Inhaltlich geht es dabei insbesondere um das Zusammenspiel und die Wirkungen der sehr unterschiedlicher Modernisierungstendenzen in Politik und Verwaltung: Prozesse der Ökonomisierung auf der einen und Prozesse der Demokratisierung auf der anderen Seite.